Die Markenkaskade als idealtypischer Prozess
Zusammenfassung
- Produkte entstehen in Fabriken, Marken in Köpfen
- Workshops sind aller Markenkommunikation Anfang
- Mitarbeiterinterviews stärken mehr als nur die Arbeitgebermarke
- Kundenbefragungen sind nicht nur Stimmungsbarometer
- Markenkampagnen starten lange vor der ersten Schaltung und enden – nie.
Das Wörterbuch definiert „Kas-ka-de“ als „Substantiv (die): künstlich angelegter Wasserfall in Form von Stufen“. Eine Markenkaskade will hier im übertragenen Sinne als gesteuerter Prozess der Markenkommunikation verstanden werden, der sich von einer Quelle ausgehend über unterschiedliche Prozessstufen ergießt und dabei eine zunehmend größere Breitenwirkung erzielt. Entscheidend bei diesem Bild ist, dass Markenprozess und Markenkommunikation nicht voneinander getrennt sind, derart, dass erst der Prozess der Markenbildung erfolgt, dessen Ergebnisse dann in Kommunikation, sprich Kampagnen umgesetzt werden, sondern das Prozess und Kommunikation von Anfang an Hand in Hand gehen.
Jetzt kann man zu Recht einwenden, dass die Markenbildung immer einer so definierten Markenkaskade vorgelagerter Prozess ist. Ohne hier genauer auf die Genese einer Marke einzugehen, lässt sich vereinfachend festhalten: In den allermeisten Fällen ging es Markenschöpfern wohl nicht in erster Linie darum, eine Marke zu schaffen, sondern zunächst darum, ein bestimmtes Produkt herzustellen. Ein paar Jungs treffen sich in einer Garage und basteln einen grauen Kasten. Sobald sie sehen, dass funktioniert, was sie sich ausgedacht haben, überlegen sie sich einen Namen und nennen das Ergebnis Apple, was zum damaligen Zeitpunkt durchaus kontrovers diskutiert wurde und letztlich auf eine Eigeninitiative von Steve Jobs zurückging: „Ich praktizierte mal wieder eine meiner Obstdiäten“. Die Bedeutungsaufladungen zu Isaak Newton und Alan Turing erfolgten erst im Nachgang und wurden vom Entwickler des Logos, Rob Janoff, selbst bestritten. Gleichwohl gehören sie heute zu den Legenden, die sich um die Marke ranken.
Nun sind nicht alle Produktentwickler und Unternehmensgründer gleich Markenschöpfer eines Kalibers von Jobs, Wozniak und Wayne. In den allermeisten Fällen ist es so, dass einfach in Fabriken Produkte hergestellt werden, die sich im Falle eines Verkaufserfolgs mitunter zu Marken entwickeln. Nämlich dann, wenn sie aufhören, einfach Produkte zu sein, und sie stattdessen eine Bedeutung entwickeln für die, die sie einsetzen, nutzen und begeistern: eben in den Köpfen der Kunden.
Im Modell der Markenkaskade geht es darum, diese Markenbilder in den Köpfen der Zielgruppe möglichst frühzeitig zu erzeugen, zu steuern und zu beeinflussen. Im Grund kann sie zu jedem denkbaren Zeitpunkt initiiert werden. Zum Zeitpunkt der Unternehmensgründung, einer Produkteinführung oder einer Neupositionierung. Im Grunde immer dann, wenn eine Marke im Entstehen ist oder sich in einer Krisenphase befindet – also einer Neuerfindung bedarf. Der Nukleus, die Quelle, dieser Markenkaskade sind idealerweise die Entscheider auf Seiten des Unternehmens, das Management, das Marketing sowie Mitarbeiter an den Schaltstellen des Betriebs sowie die ausführende Agentur.
Workshops sind aller Markenkommunikation Anfang.
Workshops am Beginn des Markenprozesses dienen der Positionierung. Wo steht die Marke? Wo will sie hin? Welche Wege sind die besten? Und in welchem Umfeld bewegt sie sich? Klassische Justierungsfragen, die in regelmäßigen Abständen aufgeworfen werden müssen, um die Markenstrategie wieder auf Linie zu bringen. Die stärksten Ergebnisse erzielt man dabei nicht unbedingt mit den klassischen Analysetools. Entscheidend ist die sorgfältige Auswahl der Teilnehmer. Sind es nur Mitglieder des Managements oder auch Abteilungs-, Produktions- und Vertriebsleiter? Nur Mitarbeiter in leitenden Funktionen oder auch die Meinungsbildner, die Charakterköpfe, die das Unternehmen geprägt haben? Wenn die Mischung stimmt, lassen sich mit der einfachen Frage: „Worauf sind Sie stolz?“ genau die Geschichten schürfen, die meist in jeder „offiziellen“ Unternehmensgeschichte unter den Tisch fallen, obwohl gerade sie sich für die Bildung von Markenlegenden eignen. Gut vorbereitet und inspirierend durchgeführt – am besten an externen Tagungsorten wie Klöstern, Schlössern oder entlegenen Berghütten – erzielt man dadurch mehr als eine Standortbestimmung und eine Positionierung. Man gewinnt bereits die ersten Markenbotschafter und die ersten Stränge für ein uniques Storytelling.
Mitarbeiterinterviews stärken mehr als nur die Arbeitgebermarke.
Workshops sind ein Anfang. Doch alle Meinungsbildner, die in einem Unternehmen die Marke tragen, lassen sich kaum dazu einladen. Ein probates Mittel, den Kreis systematisch zu erweitern, sind Mitarbeiterinterviews. Darin geht es einerseits sicher darum, das Stimmungsbild im Unternehmen zu vertiefen, vorrangig aber ist das Ziel, die Teilhabe am Markenprozess zu vergrößern, Mitgestaltung in einem klar definierten Rahmen zu ermöglichen und die Ergebnisse des Workshops zur Anwendung zu bringen. Es sind gewissermaßen Brückenköpfe des Markenprozesses im Unternehmen, die die Identifikation der teilnehmenden Mitarbeiter erhöht und die auf alle anderen abstrahlt. Vor allem, wenn die Resultate des Workshops und der Interviews in die Konzeption der Markenkommunikation einfließen und diese – nach Abstimmung mit dem Management – im Rahmen von Mitarbeiterevents denen vorgestellt werden, die daran mitgewirkt haben.
Sinn und Zweck dieser beiden Stufen des Kaskadenmodells sind, nicht allein die externe Zielgruppe der Marke im Blick zu haben, sondern bereits die internen Zielgruppen der Entscheider, Akteure und Folger der Marke systematisch für die Markenkommunikation zu gewinnen. Das muss nicht soweit gehen, Mitarbeitern die konkrete Kampagne bereits vorzustellen, bevor man damit an den Markt geht. Aber Spannung zu erzeugen ist möglich: Das ist ein bisschen so wie die Vorfreude auf Weihnachten.
Kundenbefragungen sind mehr als Stimmungsbarometer.
Parallel zu den Mitarbeiterinterviews sind Kundenbefragungen sinnvoll. Gesetzt, dass sie nicht nur Meinungen einholen und Befindlichkeiten abfragen, sondern gezielt genutzt werden, um die geplanten Kommunikationsmaßnahmen vorzubereiten. Das kann in Form onlinebasierter Umfragen erfolgen, kann aber auch mit persönlichen oder telefonisch durchgeführten Kundengesprächen erfolgen. Viele Unternehmen führen standardisierte Umfragen zur Kundenzufriedenheit im Rahmen von Messen oder jährlichen Summits durch. Zumeist dienen diese dazu, die Sortimentspolitik zu optimieren und den Vertrieb zu stärken. Nur selten werden daraus Schlussfolgerungen für die Markenkommunikation und die Kommunikationswege gezogen. Genau hierauf ist im Rahmen der Markenkaskade allerdings zu achten, dann werden die Befragungen selbst zu einer Maßnahme der Markenkommunikation und zu einem Touchpoint mehr, an dem sich die Markenbindung der Kunden erhöhen lässt.
Markenkampagnen starten lange vor der ersten Schaltung und enden – nie.
Ist derart das Feld für die Kommunikation bereitet, kann die Kampagne on Air gehen. Die Maßnahmen – online wie offline – haben sich bis dahin oftmals aus den vorherigen Phasen ergeben und treffen – weil gut vorbereitet – auf fruchtbaren Boden.
Ein Beispiel dafür ist die Markenpositionierung des oberfränkischen Flakonherstellers Heinz-Glas. Das Familienunternehmen blickt auf eine bald vierhundertjährige Geschichte zurück, in der es sich immer wieder neu erfunden hat. Zur Marke im eigentlichen Sinne hat es sich in den letzten Jahrzehnten entwickelt, nachdem es durch den Zusammenbruch des Ostblocks aus der peripheren Zonenrandlage rückte und sich von einer traditionellen Glashütte gezielt zum Flakonhersteller entwickelte. Der nächste Schritt erfolgte im Zuge eines Generationswechsels, den wir als Agentur begleiteten. War Heinz-Glas bis dahin – geprägt durch rationale Werte wie Fleiß, Präzision und Qualität – als zuverlässiger Lieferant aufgetreten, positionierten wir gemeinsam mit dem Management das Unternehmen auf Basis zweier Workshops mit dem internationalen Vertrieb sowie mit Mitarbeitern aus F&E und Produktion als Partner auf Augenhöhe. Mit Sinn für Glamour, Finesse und Eleganz – wie es die großen, in Paris oder New York beheimateten Parfümmarken erwarten (wenn auch bis dato nicht unbedingt von einem ihrer Lieferanten aus der deutschen Provinz). Innerhalb weniger Monate erarbeiteten wir einen Imageauftritt, der zur Leitmesse der Branche, der Luxe Pack Monaco 2014, on Air ging. Zeitgleich führten wir onlinebasiert eine weltweite Kundenbefragung in sechs Sprachen durch, flankiert durch ausgewählte Kundeninterviews. Zum Startpunkt der Messe wussten die Kunden bereits, dass sie ein neuer Auftritt der Marke erwartete – nur nicht, wie er aussah. Die Mitarbeiter, die in den Markenprozess involviert gewesen waren, wurden die Ergebnisse vor der Messe in einem Event präsentiert. Die Resonanz auf der Messe selbst war – wie eine Schnellumfrage ergab – überwältigend. Der damit angestoßene Prozess bildete die Grundlage für alle seitdem umgesetzten Maßnahmen im Online- und HR-Bereich.
Das Beispiel zeigt, dass die Markenkaskade ein Modell ist, das sich auf Unternehmen, aber auch einzelne Markenprojekte unterschiedlicher Größe adaptieren lässt. Als Richtschnur – wenn man so will – einer 360°-Kommunikation, die das Ganze des Markenprozesses im Blick behält, auf jeder Stufe der Kommunikation.
Über den Autor:
Christoph Siwek ist Kreativberater und Group Head Text bei der Markenagentur Schindler Parent. Dort hat er viele markenstrategische Prozesse nach dem Modell der Markenkaskade für Kunden aus unterschiedlichsten B2B-Branchen (Industrie, Medizintechnik, Food & Beverage, Gesundheitswesen etc.) angestoßen und deren kommunikative Umsetzung begleitet.