In der Werbung ist weniger mehr
Zusammenfassung:
- Die emotionale Erregung, die Marken hervorrufen sollen, stumpft sukzessive ab.
- Der Grund dafür: eine überladene Medien- und Werbekultur, die eine Gefahr für jede Marke darstellt.
- Wir brauchen eine Obergrenze für Werbung, denn fokussierte und qualitative Werbung ist wichtiger als Masse.
Marken wirken im Wesentlichen über die emotionale Erregung, die sie bei Menschen hervorrufen. Sie lösen neuronale „Belohnungsorgasmen“ in unseren Köpfen aus. Ein Gefühl, das süchtig macht. Starke Marken verursachen immer wieder diese „Belohnungsorgasmen“ in unseren Gehirnen – deshalb konsumieren wir sie so gerne. Unsere emotionalen Erregungen stumpfen jedoch ab, wenn wir ständiger Kommunikation oder Werbung ausgesetzt werden. Die von Marken ausgelösten Emotionen sind pure Physiologie. Es sind die Neuronennetze in unserem Gehirn und die Nervengeflechte in unserem Körper, welche durch Marken stimuliert und erregt werden.
Eine Spirale der Überstimulation und der Abstumpfung
Viele Marken werben heute aus allen Rohren, mit allen Mitteln und in allen Kanälen. Dieser Werbe-Dauerbeschuss via Content Marketing und Social-Media-Kommunikation ist Werbung auf Autopilot.
Es ist Content um des Contents willen. Diese Form der Kommunikation verursacht bei vielen Konsumenten immer öfter die Bildung einer empfindungslosen „Hornhaut“. Mit dem Ergebnis, dass Konsumenten emotional abstumpfen und viele Marken in der Regel wenig beachtet und kaum noch geachtet werden. Es kommt zu einer kommunikativen Taubheit bei den Empfängern von Werbebotschaften. Die Aufmerksamkeit und Empfindsamkeit der Konsumenten nimmt sukzessive ab. Wir befinden uns heute in einer Spirale aus Abstumpfung, Überstimulation und weiterer Abstumpfung. Im Prinzip stumpft unser tief im limbischen System angelegtes emotionales Potenzial gegenüber Marken ab. Folge: Konsumenten werden immer tauber, und Marken stehen unter Druck.
Um in Zukunft trotzdem eine wirksame Empfindung bei den Kunden auszulösen, braucht es immer stärkere Stimulationen. Diese postmoderne Abstumpfung ist ein hochgefährlicher Trend für Marken. Er hat das Potenzial zur Epidemie.
Moderne Gefahr: die Medien-Matrix
Ständig online zu sein und soziale Medien zu konsumieren ist heutzutage natürlich – das hat das Silicon Valley der ganzen Welt erfolgreich eingeredet. Es ist eine neue Medien-Matrix entstanden, die kulturell noch nicht wirklich reflektiert und verstanden wurde.
Diese digitale Medien-Matrix ist hochgradig ökonomisch begründet, und sie hat es via Facebook, YouTube, Instagram etc. geschafft, vor allem jungen Konsumenten zu diktieren, was sie begehren und was sie haben und erleben wollen. Was liegt daher näher, als ihr einen unbesiegbaren, mächtigen Marketingeffekt zuzuschreiben.
Was meine ich mit dem Wort „Matrix“? Kurz und knapp: Es ist ein Netz aus Bildern, Prägungen, Präferenzen, Prinzipien und Ansprüchen, das wir unserem Konsum von Medien beziehungsweise Kommunikation übergeworfen haben – und wie es mit den Netzen so ist: Wir verheddern uns darin. Letztlich bestimmt diese Matrix unseren Konsum von Leben und Welt. Diese Medien-Matrix mit ihrem Facebook, YouTube und Instagram ist zur puren Gewohnheit geworden. Was sie genau ist und wirtschaftlich bewirkt, das wissen wir nur bedingt. Was wir aber deutlich sehen können, ist ein kommunikativer Stress sowohl aufseiten der Unternehmen als auch der Konsumenten, den diese Medien-Matrix erzeugt.
Die digitale Medien-Matrix sitzt nun tief in unserem Marketingdenken. Sie ist so gründlich, so sorgfältig in das Mediendenken und in die Konsumträume eingeschrieben, dass sie uns vorkommt wie eine eigene, tiefe Medien- und Konsumwahrheit.
Ein Plädoyer für fokussierte Botschaften
Botschaften brauchen Zeit, um sich im Gehirn der Konsumenten zu entfalten. Sie brauchen Zeit und Ruhe. Die bekommen Botschaften jedoch nicht, wenn fließbandmäßig eine Botschaft auf die nächste folgt. Die wirklich wichtigen Marken- und Produktinhalte gehen dann oftmals unter in einem Meer an Content.
Deshalb müssen Markenverantwortliche im Rahmen der Medien-Matrix lernen, sich kommunikativ zu fokussieren. Zu viel Content geht in den meisten Fällen nach hinten los. Der viele Content nervt die Menschen – und entfaltet keine Kommunikationswirkung. Er verpufft im Kommunikationslärm. Die weitverbreitete Viel-ist-gut-Denkweise im Marketing ist ein Strategiefehler, der seine Ursache in unserem Herdenverhalten hat.
Stoppt den Dauerbeschuss durch Werbung
Wir brauchen ein neues Verständnis für Kommunikation, eine individuelle Obergrenze für Werbung jeder Marke. Allein die Dosis macht’s, dass etwas nicht zum Gift wird. Die Denke, viel ist gut und hilft viel, ist falsch. Das wissen wir schon seit R. D. Buzzell (Predicting short-term changes in market shares as a function of advertising strategies), der belegte, dass die Qualität der Werbung, verglichen mit der Quantität, eine große Rolle beim Wachstum des Marktanteils spielt. Die Auswirkung von Marketingmaßnahmen hängt also entscheidend von der Qualität der Idee dahinter ab – wenn diese nur mittelmäßig ist, kann auch ein hohes Budget für eine häufige Schaltung in allen Kanälen, also eine Investition in die Medien-Matrix, nicht helfen bzw. sogar großen Schaden anrichten.
Der derzeitige kommunikative Dauerbeschuss jedenfalls verhindert meist die Belohnungsreaktionen unseres Nervensystems. Wir leben heute in einem superhektischen Kommunikationsraum, der es dem Konsumenten immer schwerer macht, sich „fallen zu lassen“ – und so die kognitive Kontrolle an die Marke abzugeben. Menschen haben immer mehr die Sehnsucht, einfach mal die Augen zuzumachen und das Leben, den Moment zu genießen. Der digitale Medienkonsum via Smartphone beziehungsweise die bekannten Social-Media-Plattformen verhindert das. Er macht uns unruhig, hektisch, unentspannt. Social Media tickt und tickt in unserem Ohr – und das 24/7.
Fazit
Das Wichtigste noch einmal: Erstens, die neue Medien-Matrix ist für viele Marken zu einem unentrinnbaren Kreislabyrinth geworden. Zweitens, taube Konsumenten sind heute eher der Normalfall als die Ausnahme. All das hat ursächlich mit unserer digitalen Medienkultur zu tun, die sowohl berauscht und begeistert als auch nervt und abstumpft. Sie ist ein zweischneidiges Schwert – und dieser Umstand macht sie gefährlich für das Marketing.
Mein Appell ist daher: lasst uns umdenken und Markenkommunikation wieder qualitativ besser machen. Kommunikation muss wieder langsamer, ruhiger, sinnvoller und präsenter werden. Dabei darf und soll Werbung unterhalten. Aber bitte nicht mit der vorherrschenden Fast-Food-Mechanik. Werbung braucht den Zauber von emotionaler Tiefe und inhaltlichem Wert, wenn sie erfolgreich sein soll. Der angenehme Nebeneffekt einer solchen Konzentration ist übrigens der Umstand, dass mehr Budget für wirklich relevante und attraktive Kommunikationsmaßnahmen zur Verfügung steht. Die Lösung ist so einfach.
Über den Autor:
Roland Albrecht ist Geschäftsführer der Markenagentur GoYa!
Mein Profil: Markendenker und Markenmacher.
Mein Motto: No risk, no fun – because it‘s better to be a pirate than to join the navy.
Warum diese Branche? – Weil Kommunikation die wunderbarste Sache der Welt ist.
Warum Markenagentur? – Weil ich an die Macht der Marke glaube.