Wenn Innovationen Marken schwächen
Kurzzusammenfassung:
- Brauchen Marken Innovationen?
- Führen Innovationen zum Kundenverlust?
- Werden Produkte durch Innovationen zum Flop?
- Ist das klassische Produktmarketing für die Innovation von Marken geeignet?
- Gibt es eine Erfolgsstrategie für Marken stärkende Innovationen?
Nützliches anstatt Neues
Kein anderes Wort wird heute mehr in der Wirtschaftspolitik, der Wirtschaftspresse und im Marketing verwendet als „Innovation“. Versteckt sich dahinter vielleicht ein neues Erfolgskonzept oder doch nur eine flüchtige Marketingmode? Was bedeutet eigentlich Innovation und was hat Innovation überhaupt mit Marken zu tun? Viele Fragen, versuchen wir sie einfach und verständlich zu beantworten.
Schon 1926 hat der Nationalökonom Joseph Schumpeter in seinem Buch „Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung“, 2. Auflage, über Innovationen geschrieben: „Schumpeter zufolge wird ein innovativer Unternehmer durch seine Innovation zu einem Monopolisten – so lange, bis Nachahmer auftreten (oder seine Innovation durch andere Entwicklungen verblasst). Schumpeter erkannte damit das Wechselspiel aus Innovation und Imitation als Triebkraft des Wettbewerbs… Eine wichtige These von Schumpeter war die Unterscheidung zwischen Kapitalist und Unternehmer (Entrepreneur). Unternehmer zeichnen sich seiner Meinung nach dadurch aus, dass sie ihre wirtschaftliche Position ständig durch Innovationen verbessern wollen. Demnach ist es der Unternehmergeist, welcher Innovationen erzeugt und damit Wirtschaftswachstum und sozialen Wandel vorantreibt.“ (Quelle: Wikipedia)
Und 2003 hat der Unternehmer Dr. h.c. August Oetker als Vertreter des deutschen Markenverbandes, der damals sein 100jähriges Jubiläum feierte, folgendes Statement zum Thema Innovation und Marke abgegeben: „Unser Verband und unsere Mitglieder arbeiten konsequent daran, sich von den Billig-angeboten abzusetzen. Dabei gilt es für die Marken-artikel-Industrie vor allem dem Verbraucher ins Bewusstsein zu rufen, dass Marken nicht nur der Beleg für außerordentliche Qualität sind und sich der Käufer auf solche Produkte verlassen kann. Gleichzeitig müssen wir der breiten Öffentlichkeit verdeutlichen, dass Marken die wahren Trendsetter sind und durch hohe Innovationskraft überzeugen. Kennen Sie vielleicht ein Eigenprodukt des Handels, das innovativ ist und einen neuen Trend ausgelöst hat?“ (Quelle: Innovation Marke, Interview mit Dr. h.c. August Oetker, Die Welt, 26.6.2003).
Innovationen als Ausdruck von Unternehmergeist zur Verbesserung der Marktposition müssen also kraftvoll und durchsetzungsstark sein und sollen einen neuen Trend, also eine besonders tiefgreifende und nachhaltige Entwicklung, auslösen. Hat Innovation also etwas mit Veränderung und Neuheit zu tun – ist etwas Neues, das verändert, schon eine Innovation?
Schauen wir uns das doch etwas genauer an. Gerade bei Fast Moving Consumer Goods (FMCG) jagt eine angebliche Innovation die andere. Immer Neues überschwemmt den Markt. Doch 70 Prozent davon sind leider Flops, denn bereits 70 Prozent aller neu eingeführten Artikel sind nach 12 Monaten nicht mehr in den Ordersätzen des Handels. Das ergab eine Studie von GfK und Serviceplan schon 2006. Und diese erforschte auch gleich die Faktoren für Erfolg und Misserfolg bei Produktinnovationen mit folgendem spektakulären Ergebnis: Fehler in Kommunikation und Vertrieb sind zu einem viel geringeren Teil verantwortlich als allgemein vermutet. Allein 60 Prozent der Flops scheitern bereits in punkto Innovationsgrad, Preis-Leistungs-Verhältnis, Zielgruppen-struktur und Markenpolitik. Was lernen wir daraus? Innovationen als Selbstzweck, weil die Entwicklungsabteilung einer neuen Technologie huldigt, der Productmanager unter Druck ist und immer neue Produkte auf den Markt bringen muss oder der Preis wegen Profitgier zu hoch war, sind zum Scheitern verurteilt, wenn sie vom Kunden nicht angenommen werden. Denn der einzige der zählt ist der Kunde. Wenn Unternehmen jedoch unter dem Motto agieren „Der einzige der stört ist der Kunde“, dann werden eben weiterhin jedes Jahr die meisten der sogenannten Innovationen floppen und die damit verbundenen Entwicklungsgelder unter „Ignoranz“ abgebucht werden müssen.
Produktflops kosten jedoch nicht nur viel Geld, sondern beschädigen auch das Vertrauen der Stakeholder in die jeweilige Marke. Vertrauen als emotionales, soziales und wirtschaftliches Gut ist nicht nur ein Wert an sich, sondern hat auch einen konkreten Geldwert. Kaufen doch 77 Prozent der Menschen Angebote, denen sie vertrauen. Fehlt das Vertrauen, verzichten 51Prozent gleich ganz auf den Kauf. Und wenn 57 Prozent der Menschen in Deutschland glauben, dass Produkte unfertig auf den Markt kommen, dann muss man schon hellhörig werden. Das ergab zumindest das Trust Barometer der PR-Firma Edelman.
Neues und damit eine Veränderung ist also nicht immer gleich eine Innovation und stärkt oftmals gar nicht die Marke, denn Neues ist nicht unbedingt auch Nützliches. Was ist dann aber eine Innovation und wie können Innovationen für Marken genutzt werden?
Die Marke als eine nutzenstiftende Erfindung
Innovation heißt laut Wikipedia wörtlich „Neuerung“ oder „Erneuerung“. Das Wort ist vom lateinischen Verb innovare (erneuern) abgeleitet. In der Umgangssprache wird der Begriff im Sinne von neuen Ideen und Erfindungen und für deren wirtschaftliche Umsetzung verwendet. Im engeren Sinne resultieren Innovationen erst dann aus Ideen, wenn diese in neue Produkte, Dienstleistungen oder Verfahren umgesetzt werden, die tatsächlich erfolgreiche Anwendung finden und den Markt durchdringen (Diffusion).“
Innovation hat also vor allem etwas mit Erfindung zu tun. Eine Erfindung ist wiederum eine schöpferische Leistung, durch die eine neue Problemlösung, also die Erreichung eines neuen Zieles mit bekannten Mitteln oder eines bekannten Zieles mit neuen Mitteln oder eines neuen Zieles mit neuen Mitteln, ermöglicht wird. Von Erfindungen wird besonders oft im Zusammenhang mit technischen Problemlösungen gesprochen, etwa von der Erfindung des Motors oder des Dynamits.
Was hat nun eine Innovation mit einer Marke zu tun? Marken entstehen vor allem aus der Wahrnehmung eines neuen Produktes, das sich einen „Logenplatz“ im Kopf von Menschen erobert hat. Denn Marken sind das Ergebnis einer kommunizierten Erfindung, indem Unternehmen ein relevantes Kundenproblem innovativ, also mit neuen Verfahren, Produkten oder Dienstleistungen, lösen. Aber nicht jede Erfindung erzeugt eine neue Kundschaft und damit eine neue Marke. Voraussetzung ist, dass die Innovation sich nicht nur in der Qualität der Produkte darstellt, sondern vor allem den Nutzen für den Kunden erhöht, also die Fähigkeit besitzt Bedürfnisse zu erzeugen oder Bedürfnisse besser zu befriedigen. Das drückt sich im sogenannten Innovationsgrad aus. Ist dieser zu niedrig, floppt die Innovation. Das ergab auch die oben angeführte Studie von GfK und Serviceplan: 53 Prozent der neuen Produkte hatten aus Verbrauchersicht nur einen geringen Innovationsgrad. Neuprodukte mit hohem und mittlerem Innovationsgrad hätten dagegen eine nahezu doppelt so hohe Erfolgschance. Neueinführungen müssen deshalb stets den Neuigkeitswert hervorheben sowie die Qualität und den Nutzen, den der Käufer davon hat. Denn 75 Prozent der Käufer schätzten neue Produkte nur, sofern die Qualität und Leistung verbessert sind. Sind sie nach dem ersten Kauf enttäuscht, sind sie als Kunde verloren. Weitere Werbebemühungen sind vergebens.
Innovationen können deshalb nur für Marken genutzt werden, wenn sie ein signifikantes Problem mit innovativen Produkten, Technologien oder Dienstleistungen lösen und damit den Kunden einen relevanten Nutzen stiften. Den Kunden damit im übertragenen Sinne innovieren sein Verhalten zu ändern. Einige erfolgreiche Beispiele sollen das belegen.
1896 brachte der englische Einwanderer William Colgate die erste Zahnpasta in der Tube auf den Markt, welche die Zahnhygiene innovierte – es entstand eine neue Kundschaft durch ein neues Produkt.
Weil ihm seine Frau immer wieder Kartoffelbrei mit Klümpchen vorsetzte, erfand der Franzose Jean Mantelet 1932 die erste Püriermaschine mit dem Namen „Moulinette“ und dem Ergebnis, dass Kartoffelbrei ein neues Geschmackserlebnis erzeugte.
Der Spanier Isaac Carasso mit griechischen Wurzeln war der Gründer von Danone. Sein Sohn Daniel (Spitzname Danone) der Namensgeber. Die in Barcelona ansässige Firma stellte seit 1919 Joghurt her, ein in Europa unbekanntes Produkt. Die ersten Danone-Joghurts gab es ausschließlich auf Rezept in der Apotheke.
YouTube ist ein Videoportal des US-amerikanischen Unternehmens Google In. mit Sitz im kalifornischen San Bruno. Die Benutzer können erstmals auf dem Internet-Portal kostenlos Video-Clips ansehen, bewerten und selbst hochladen.
Das bekannteste Unternehmen mit einer Ausrichtung auf den Kunden und die Steigerung von dessen Nutzen ist wohl unbestritten die Marke Apple. So werden die Markenprodukte, wie Mac, iPod, iTunes, iPad oder iPhones fortlaufend auf die Optimierung der Anwendung konsequent perfektioniert. Denn der „Der Ursprung von Apple ist das Bauen von Computern für Menschen, nicht für Firmen“ wie der Gründer Steve Jobs festgelegt hat. Aufgrund dieser Nutzenorientierung kann Apple Preise im Markt durchsetzen, die deutlich oberhalb aller Wettbewerber liegen.
Auch die deutsche Marke Sennheiser, der am 1. Juni 1945 gegründeten Sennheiser electronic GmbH & Co. KG mit Hauptsitz in Wedemark-Wennebostel in der Region Hannover, bietet ein Premium Headset-Portfolio, dass ebenfalls ständig auf die Anwendungen durch den Kunden optimiert wird. Das Erfolgskonzept: Statt in der Angebotsbreite den Erfolg zu suchen, setzt Sennheiser auf eine fokussierte Produktpalette und generiert das starke Wachstum über die Internationalisierung (2012 wurde 84% des Umsatzes außerhalb von Deutschland erzielt).
Sennheiser konzentriert sich auf Headsets, optimiert fortlaufend den Gebrauchsnutzen für seine Kunden und gewinnt neue Kunden durch die Internationalisierung der Distribution. Foto: Sennheiser
Das Unternehmen als Innovateur
Nun könnte man der Meinung sein, dass die Entwicklung von Innovationen von den Kunden ausgeht. Man braucht diese nur geschickt befragen und schon hat man die richtigen Hinweise und baut daraus schnell ein tolles Konzept, das reibungslos funktioniert. Kundenorientierung ist hier das neue Zauberwort. Diesen Weg gehen heute einige Unternehmen – man spricht hier von „Open Innovation“, die aktive strategische Nutzung der Außenwelt zur Vergrößerung des Innovationspotenzials. Das kann man durchaus machen, sollte dabei aber die folgende Erkenntnis nicht vergessen: Der Ausgangspunkt von Innovationen ist per se nicht die Kundschaft, sondern das Unternehmen, idealerweise mit einem starken Unternehmer, der die Innovation bei den anvisierten Kunden durchsetzt, denn diese stehen dem Neuen im Wesentlichen mit Misstrauen gegenüber (siehe GfK, Innovationsneigung 2004-2015). Das hatte auch Steve Jobs, der Gründer von Apple erkannt als er 1982 sagte „Die Kunden wissen gar nicht, was sie wollen, bis wir es ihnen zeigen“. Innovationen müssen also neue Kunden und damit einen neuen Markt erschaffen. Unter diesem Gesichtspunkt ist das Entstehen einer Marke immer das Ergebnis einer Innovation.
Letztendlich geht es also darum den Kunden zu innovieren, also neue Bedürfnisse den Konsumenten anzuerziehen. Denn Innovationen müssen nicht einem bestehenden Markt dienen, sondern einen neuen Markt schaffen. Das betrifft zum einen die Erfindung einer neuen Marke mit einem innovativen Produkt und zum anderen der Innovierung einer Marke mit einem neuen oder verbesserten Produkt.
Eine Innovation ist also nur sinnvoll, wenn sie ein signifikantes Problem neu löst, dadurch Menschen begeistert und einen neuen Markt mit einer neuen Marke schafft oder bestehende Kunden noch fester an eine schon bestehende Marke bindet. Eine Innovation, die aus einer neuen technischen Möglichkeit entspringt und deshalb nur den Entwicklungsingenieur begeistert und nicht den Kunden, wäre eine sinnlose Neuerung, denn sie würde ja die Marke nicht stärken. Würde zum Beispiel Harley- Davidson seine Motoren als unverwechselbaren Kern der Markenkultur so innovieren, dass der typische Klang verloren geht, würden die Kunden keine Produkte des Unternehmens mehr kaufen.
Innovation durch Markentransfer
Die erfolgreichste Strategie zur Einführung eines innovativen Produktes zur Stärkung einer Unternehmens- oder Produktmarke ist der Einsatz einer Markentransfer-Strategie. Der Vorteil: Man nutzt die bestehende Marke und die von ihr aufgebaute Brand Equity und stellt das neue Produkt unter das bestehende Markendach.
Dabei bestehen zwei Möglichkeiten diese Innovationsstrategie umzusetzen: durch Markenerweiterung (Brand Extension) oder durch Produkterweiterung (Line Extension). Mit einer Brand Extension übertragen Sie Ihre bestehende Marke auf die von Ihnen eingeführte neue Produktart. Ihr Unternehmen geht mit seiner bestehenden Marke demzufolge auf ein neues Produktsegment über. Ein gutes Beispiel für einen erfolgreichen Markentransfer lebt der Hersteller von Nivea, die Beiersdorf AG aus Hamburg, vor. Die Marke „Nivea“ gehört in Deutschland zu den bekanntesten Marken überhaupt und ihre Produkte werden weltweit begeistert gekauft.
Im Dezember 1911 verkaufte Beiersdorf die erste Nivea-Creme an Apotheken und Drogerien. Die Erfindung bestand in der Entwicklung von Eucerit, den ersten stabilen Wasser-in-Öl-Emulgator. Den Namen Nivea leitete der Inhaber Oscar Troplowitz ab von der weiblichen Form des lateinischen Adjektivs niveus (zu nix, nivis, Schnee). Nivea bedeutet „Die Schneeweiße“. Verbraucher erkennen heute die Nivea-Produkte sofort anhand der blauen Verpackung mit dem weißen Schriftzug. Der Ausgangspunkt der Marke Nivea war demnach die Erfindung von Eucerit, die sich Kernprodukt Nivea Creme, einer besonders pflegenden Creme mit einem hohen Feuchtigkeitsfaktor, darstellte. Im Laufe der Jahre erweiterte der pfiffige Herr Troplowitz seine Marke durch eine ganze Palette weiterer Produkte: Sonnenschutzprodukte, Produkte zur Babypflege, Anti-Falten-Creme, Dusch- und Bodylotion, Shampoos oder Deodorants. Obwohl die Folgeprodukte nichts mehr mit dem Startprodukt, der Nivea Creme, gemeinsam haben, war die Innovationsstrategie durch Markentransfer für den Hersteller erfolgreich, weil er die Folgeprodukte zusammen mit dem Ursprungsprodukt unter dem nutzenorientierten Nivea Markendach offerierte: als besondere Pflegeprodukte. So war es für die Kunden einfach die neuen Produkte zu erkennen und eine emotionale Bindung und Vertrauen auf Basis des Markenversprechens „Schönheit durch Pflege“ aufzubauen.
Die Marke Nivea erzeugte Innovationen durch die Entwicklung neuer Produktkategorien auf Basis der Nutzenpositionierung „Schönheit durch Pflege“. Foto: Nivea
Auf Dauer kann jedoch ein nicht zu unterschätzendes Risiko auftreten: eine Markenverwässerung durch Überdehnung der Markenkompetenz durch zu viele neue Produktkategorien und dem Ergebnis der Zunahme von Komplexität in der Marken-wahrnehmung. Denn je mehr Produktarten Sie mit Ihrem Markentransfer anbieten, desto schwieriger wird es für Ihre Kunden, sich bei dieser breiten Auswahl für ein Produkt zu entscheiden.
Entscheiden Sie sich für die Strategie der Line Extension, gehen Sie nicht so umfassend vor wie mit einer Markenerweiterung, da Sie Ihre bestehende Marke zwar in einem neuen Kundensegment, jedoch in der gleichen Produktgattung vermarkten. So führte die Marke Gerolsteiner ursprünglich nur eine Sorte Wasser auf dem Markt. Erweitertet dann jedoch seine Produktlinie in den Folgejahren kontinuierlich durch weitere Wassersorten verschiedener Varianten und Geschmacksrichtungen. Alle Wassersorten werden jedoch unter der Dachmarke „Gerolsteiner“ mit der Nutzenpositionierung „Gesundes Leben“ angeboten. Heute ist Gerolsteiner Brunnen Weltmarktführer unter kohlensäurehaltigen Mineralwässern; die Markenprodukte werden weltweit in über 30 Ländern verkauft.
Mit einer Online-Umfrage erforschte Gerolsteiner mit welchen Produkten die Marke Gerolsteiner unter der Nutzenpositionierung „Gesundes Leben“ erweitert werden könnte. Das Ergebnis war erstaunlich. Die befragten Verbraucher ordneten der Marke folgende Produkte zu: Natur- und Gesundheitsprodukte, Energydrinks, hochwertige Lebensmittel, Wellness-Duschköpfe, der gesamte Wellnessbereich und naturbelassene Bekleidung.
Die Marke Gerolsteiner wird mit dem Kundennutzen „Gesundes Leben“ assoziiert, konzentriert sich aber auf seinen Leistungskern „Mineralwasser“ und diversifiziert die Marke auf dieser Basis: Gerolsteiner führt verschiedene Erfrischungsgetränke auf Mineralwasserbasis und Limonaden im Sortiment: Gerolsteiner Linée, Gerolsteiner Fit, Gerolsteiner Plus, Gerolsteiner Moment, Gerolsteiner Apfelschorle, Zitronenlimonade und Orangenlimonade. Foto: Gerolsteiner
Gerolsteiner Brunnen ließ sich aber nicht verführen die Produktpalette zu breit auszudehnen, denn auch bei der Produktdiversifikation muss ein bestimmtes Maß an Produktvarianten eingehalten werden, denn sonst kann sehr schnell der Nutzensinn, also wofür Ihr Unternehmen ursprünglich steht, verlorengehen. Dieses Risiko kostete zum Beispiel der Marke blend-a-med die Marktführerschaft.
Markenüberdehnungen aus Gier oder Missmanagement sind heute jedoch nicht die Ausnahme, sondern leider die Regel. Ehemals trendige Marken wie Esprit, die Surfermarke Chiemsee oder die Young Fashion-Marke Miss Sixty sind völlig out, da sie ihre Einzigartigkeit verloren haben. Esprit landete auf den Wühltischen von Penny und Lidl. Uns selbst eher biedere Marken wie S. Oliver oder Tom Tailor laufen Gefahr, in die „Overstretching-Falle“ zu treten. Sie haben ihre Einzigartigkeit bereits gegen Größe eingetauscht: In nahezu jeder deutschen Einkaufsstraße bieten die beiden Wettbewerber heute ihre weitgehend austauschbaren Kollektionen an – und versuchen verzweifelt den Kunden mit einer Billigstrategie in die Läden zu locken.
Die kalifornische Modemarke Ed Hardy überschwemmt die Welt mit ihren Lifestyle-Produkten im Tattoo Look. Bei Ed Hardy gibt es inzwischen neben Sweatshirts und Schuhen sogar Pilsgläser und Autoduftbäume mit dem bunten Totenkopflogo. Das Kultlabel, das einst T-Shirts für 200 Euro verkaufte, ist dadurch zur Ramschmarke verkommen. Foto: Ed Hardy
Innovation durch bessere Produkte
Innovationen müssen sich jedoch nicht ausschließlich in neuen Produkten darstellen, die sich dann zu Marken entwickeln, sondern können auch bestehende Produkte verbessern, sich also in neuen Qualitäten darstellen und so den Kundennutzen erhöhen. Das vermindert nicht nur die Komplexität im Sortiment, sondern erhöht auch die Kaufbereitschaft und Markentreue. Voraussetzung ist jedoch, dass der nutzenorientierte Leistungssinn der Markenprodukte nicht verloren geht. Steht jedoch der Profit und nicht der Nutzen im Fokus – siehe nachfolgende Beispiele – wird das Vertrauen in die Markenleistung mit dem Ergebnis beschädigt, dass die Markentreue weiter abnimmt: So wäre es laut einer Studie von Havas Media (Meaningful Brands 2015) der Mehrheit der Menschen weltweit egal, wenn 74 % der Marken verschwinden würden. 2011 waren es noch 71 %, 2013 schon 73 %.
Innovation durch Einkaufserlebnis
Da sich Innovationen nicht nur auf die Entwicklung und Verbesserung von Produkten reduzieren lassen, sondern die gesamte Wertschöpfungskette betreffen, können auch in der Vertriebsstrategie Innovationen vorgenommen werden.
So innovierte zum Beispiel FEDEX seinen Vertrieb durch eine schnellere „Overnight-Zustellung“. Oder der E-Sportwagen-Pionier TESLA brach mit dem klassischen Vertrieb im Automobilmarkt, der Vermarktung über Händler, durch die Installation eigener Shops. Das Besondere: Die Vertriebspunkte befinden sich in gut erreichbaren, attraktiven Innenstadt-bereichen. Dabei steht die Vermittlung des Kundennutzens im Fokus. Die Vorstellung der Produktpalette tritt dagegen in den Hintergrund.
TESLA begeistert seine Kunden durch ein Einkaufserlebnis der besonderen Art: Der Inszenierung des Kundennutzens „Sportlichkeit & Umweltschutz“. Dafür sind nicht die Präsentation vieler Produkte notwendig, wie es Wettbewerb immer noch betreibt. Foto: Tesla
Innovation durch neue Positionierung
Marken wachsen nicht durch Produkte, sondern durch Kunden. Eine Erkenntnis, die heute oftmals vergessen wird. Und eine der zentralen Ursachen für eine überbordende Flut an neuen Produkten, die zudem oftmals keinen neuen Nutzen stiften, sondern vom Kunden oft als ein „Mehr vom Gleichen“, also als austauschbar, wahrgenommen werden.
Starke Marken verzichten deshalb auf nutzlose Innovationen, die nicht aus der einzigartigen Kultur der Marke entwickelt werden und ihre authentische Identität verwässern. Sie kultivieren vielmehr ihren selbstähnlichen eigenen Stil, dem sie treu bleiben und nutzen das bereits im Kopf der Menschen verankerte Bild von der Identität der Marke. So wie die Kultmarke Jägermeister, ein Likör-Mix aus 56 Kräutern, 1935 von dem passionierten Jäger Curt Mast erfunden und auf den Markt gebracht. Bis heute hat sich das Rezept nicht geändert, auch wurden keine neuen Produkte angebaut. Und auch das eigenwillige Design der grünen, bulligen Flasche mit dem St. Hubertus-Hirschgeweih und dem signalartigen Orange wurde nicht verändert. Heute für viele Markenunternehmen undenkbar, wechseln doch 47 Prozent der hundert größten Werbungtreibenden in Deutschland laut einer Studie von GfK und Serviceplan alle zwei Jahre ihren Markenauftritt, sei es der Slogan, die Gestaltung oder beides.
Doch der Erfolg gibt dem Unternehmen Jägermeister recht. Die Marke Jägermeister wächst weiter auf der Ertragseite: 100 Mio. EUR Gewinn nach Steuern 2012 und Ausschüttung von 280 Mio. EUR an die Gesellschafter. Und auch 2014 konnte die Marke rekordverdächtige Umsatzzuwächse verzeichnen: 93 Millionen verkaufte 0,7-Liter-Flaschen weltweit, ein Plus von 3,5 Prozent. Im likörverwöhnten Frankreich wurde der Absatz sogar verdoppelt.
Woran liegt das? Der Erfolg, seit den 1970er Jahren zur größten deutschen Exportmarke für Liköre aufgestiegen zu sein, ist einer innovativen Positionierung der in die Jahre gekommenen Kult-Marke geschuldet. Jägermeister schaffte den Spagat, sich die traditionelle Zielgruppe an Konsumenten zu erhalten und sich gleichzeitig eine neue Fan-Gemeinschaft aufzubauen. Im Jägermeister Stammhaus wusste man seit Anfang der 70er, dass die Marke sich in den Sog eines sogenannten „Out-Brands“ ziehen ließ: zwar allen bekannt, aber von niemandem mehr so richtig gewollt. Mit dem Sport-Sponsoring – von der Formel 1 über Tischtennis und Fußball – waren die Markenmanager zudem hart an die Glaubwürdigkeitsgrenzen der Marke gegangen.
Jägermeister überzeugt. Einzigartiges Produkt, einzigartiger Stil, einzigartige Inszenierung. Jägermeister bleibt sich treu und führt seine Kunden durch eine innovative Positionierung: Der einzigartige Jägermeister und nicht der austauschbare Likör. Foto: Jägermeister
Der Versuchung, solchen Einbrüchen mit Änderungen am Produkt und seinem visuellen Auftritt zu begegnen, widerstand man im niedersächsischen Wolfenbüttel konsequent. Etwas anderes als ein Kräuterlikör konnte dieses Getränk mit 35 Prozent Alkoholanteil ja gar nicht sein, und die Verpackung in der grünen Flasche war schon längst zum Erkennungsmerkmal des Produktes geworden. Deshalb gilt Jägermeister heute nicht zu Unrecht neben Coca-Cola und dem Parfüm Chanel 5 als Lehrbeispiel für die Stildichte einer Marke als Grundlage einer starken emotionalen Markenbindung. Denn wer nichts an den wesentlichen Grundlagen verändert, welche den Erfolg seiner Marke ausmachen, beweist Werte-Bewusstsein. Und Jägermeister steht für Tradition, Beständigkeit, Ehrlichkeit. Diese Werte werden weiterhin kultiviert, auch wenn der Markt für alkoholische Getränke schwieriger geworden ist, der Mainstream sich mit modischen Mixturen austobt und sich der Illusion hingibt mit immer neuen und oftmals sinnlosen Produkten immer mehr zu verdienen.
Das Fazit
Unternehmen, die nicht wissen für was ihre Marke steht und warum Menschen ihre Markenprodukte kaufen sollen, laufen schnell in das existenzbedrohende Risiko der überbordenden Komplexität: Der Entwicklung immer neuer, aber sinnloser Produkte, die mit Sicherheit als teure Flops enden. Steht dann noch als zentrales Motiv nicht der Kundennutzen, sondern der Profit im Fokus, weshalb die Produktzyklen immer kürzer und die Qualität immer schlechter wird, ist dem Unternehmen leider keine lange Lebensdauer beschert.
Wenn also Innovationen nicht den Nutzensinn der Marke kultivieren oder neue Produkte die Wahrnehmungskomplexität beim Kunden erhöhen, schwächen sie die Marke mit folgendem Ergebnis: Die Kaufbereitschaft der Kunden sinkt und die emotionale Bindung der Kunden an die Marke geht verloren. Das Unternehmen verliert damit seine einzige Wertschöpfungsquelle und schlittert in den Bankrott.
Markenstärkende Innovationen sind dagegen immer aus dem Nutzensinn der Marke hergeleitet und auf die Erhöhung des Kundennutzens ausgerichtet. Das betrifft vor allem die Innovierung der Produkte, aber auch die Innovierung der Werbung, der Distribution oder der Preise. Innovationen aus einem fehlgeleiteten Markenverständnis, zur Befriedigung der Bedürfnisse der Mitarbeiter oder Partner, aus Technikgläubigkeit oder aus Profitgier führen dagegen immer zur Schwächung der Marke.
Eine zentrale Erkenntnis sollte aber nicht vergessen werden: Der Mensch will nicht das Neue, sondern das Vertraute besser oder sogar unverändert. Absolut Neues muss demnach erst einmal den Kunden innovieren sein Verhalten zu verändern, was oftmals gar nicht möglich ist. Und da Innovationen nicht nur auf der Produktebene möglich sind, haben Unternehmen viel mehr Möglichkeiten ihren Kunden zu begeistern.
Über den Autor:
Wolfgang Schiller ist Inhaber der auf systemische Markenführung positionierten Strategieberatung SCHILLER BRAND COMPANY. Im Brand Risk Management hat er Pionierarbeit geleistet und ist heute der führende Experte. Seit über 30 Jahren berät er vor allem mittelständische Unternehmen und Konzerne Unternehmen im Aufbau, der Führung und des Schutzes von werttreibenden Markensystemen.